BAIKAL
ICE MARATHON Clean Water Preservation Run

Rhein Zeitung:Erst Schnee, dann Eis – Vogel läuft über Baikalsee

Olaf Paare 15.03.2019, 17:58 Uhr

Rafael Vogel schreit laut, sehr laut sogar, als er die Ziellinie dieses einzigartigen Marathonlaufs überquert. Wobei, eine richtige Ziellinie gibt es gar nicht auf dem Eis. Die 42 Kilometer führen nämlich über den zugefrorenen Baikalsee. „Die Freude musste einfach raus, das waren unfassbare Glücksgefühle“, beschreibt der Bad Kreuznacher die letzten Meter, die er per Handyvideo festgehalten hat und sich noch immer mit einer Gänsehaut anschaut.

Geschafft: Rafael Vogel Sekunden nach dem Zieleinlauf. Das Handy, mit dem er die letzten Meter gefilmt hat, hat er noch in der Hand. Gut zu erkennen ist die Eisschicht, auf der die Läufer unterwegs waren.  
Foto: Vogel

Der Baikal. den Zusatz See sparen sich die Einheimischen – ist der siebtgrößte See der Welt, zudem der tiefste und älteste Südwassersee der Welt. Die gesamte Region ist Weltkulturerbe und seit 15 Jahren Schauplatz eines der schwersten Marathonläufe der Welt. „Als ich vor 15 Jahren meinen ersten Marathon gelaufen bin, war mir dieser Lauf, der damals Premiere gefeiert hat, bereits aufgefallen. Schon damals habe ich gesagt, dass ich den einmal laufen muss. Seitdem hat er mir keine Ruhe gelassen“, sagt der 55-Jährige, der sich nun diesen Lebens- und Läufertraum erfüllt hat.

Daumen nach oben: Auf dem schneebedeckten Teil des Baikalsees kommt Rafael Vogel (vorne) gut voran.  
Foto: Vogel

Bereits eine Woche vor dem Rennen reiste er an, von Frankfurt ging es mit dem Flieger nach Moskau und von dort noch einmal über 5000 Kilometer weiter nach Sibirien. Irkutsk, 70 Kilometer vom Baikal entfernt, war das vorläufige Ziel. Dort traf sich eine Gruppe internationaler Sportler, unter anderem eine Japanerin, ein Australier, ein Spanier und neben Läufern aus weiteren Nationen auch Vogel. Sie erkundeten die Region und wurden vom Organisator des Laufs sowie einem einheimischen Professor auf das Rennen vorbereitet. Der 71-Jährige ist übrigens der einzige Mensch, der bisher alle 15 Ausgaben des Laufs absolviert hat. 

Widrigkeiten gibt es viele am und vor allem auf dem zugefrorenen Baikal. Ein Meter dick ist die Eisschicht, Luftkissen-Fahrzeuge düsen genauso über das Eis wie normale SUVs. Jedenfalls dort, wo es sich unkompliziert fahren lässt. An vielen Stellen reißt der See auf. „Der Baikal lebt“, sagt Vogel ehrfürchtig. An den Rissstellen entstehen beim Wiederzufrieren teilweise meterhohe Eisgebilde. Die Organisatoren weisen die Strecke deshalb erst einige Stunden vor dem Rennen mit kleinen Fähnchen aus. Auch während des Laufs sind die Helfer pausenlos im Einsatz. Wenn ein Riss auf der Strecke entsteht, stellen sie mobile Brücken auf, damit die Läufer nicht gefährdet werden. Überhaupt: Es wird erst kurz vor dem Start entschieden, in welcher Richtung gelaufen wird – ob von Listwjanka nach Tankhoy oder umgekehrt. Das machen die Organisatoren von den Winden abhängig, auch wenn sich das Wetter in der Region kaum vorhersagen lässt. „Ein Sprichwort lautet: Der Mensch denkt, der Baikal lenkt. Und genau so ist es“, erzählt Vogel, der aus eigener Erfahrung berichtet: „Ich hatte wirklich den Eindruck gut vorbereitet und gut angezogen zu sein, aber die Seitenwinde sind so heftig. Irgendwann ziehen sie dich aus.“ Hinzu kam die Kälte, minus sieben Grad zeigte das Thermometer beim Start an. 

Dort wurde übrigens ein Glas Milch getrunken – und in alle vier Himmelsrichtungen geprostet. „Das Ritual soll Glück bringen auf dem Baikal“, erklärt der Bad Kreuznacher. In diesem Jahr bildete Listwjanka das Ziel. Ein markantes, wunderschönes Hotel war schon weit vom See aus zu sehen und große Motivation für die letzten Kilometer. Vogel und seine Reisegruppe übernachteten dort nämlich nach dem Rennen zur Belohnung für die Strapazen.

Eine weitere Klippe des Laufs ist der Untergrund. Die ersten 20 Kilometer wird auf einer Schneedecke gelaufen. „Ich habe verhalten begonnen, um zu sehen, wie ich reinkomme. Nach zehn Kilometern habe ich dann aber gemerkt, dass es richtig gut läuft, dass etwas geht für mich an diesem Tag“, erzählt Vogel. An der Mittelstation, an der das Rennen für die Läufer, die sich für den Halbmarathon entschieden haben, endet, stärkte sich Vogel mit ganz vielen Nüssen, die dort von den Organisatoren gereicht wurden. Weiter ging es – nun auf Eis. „Natürlich hatte ich Spikes an, trotzdem war es spiegelglatt und schwer zu laufen“, sagt der Bad Kreuznacher, der ergänzt: „Das Ganze ließ sich im Vorfeld auch nicht üben oder simulieren. Bei uns hast du selten die Gelegenheit, mit Spikes auf Eis zu laufen. Ich hatte die Schuhe auch im Skiurlaub mit, aber auch dort konnte ich nur wenig trainieren.“

Trotzdem kam Vogel schnell voran, nach 4:10 Minuten erreichte er das Ziel. Er wurde 29. unter 85 Marathonläufern, dazu durfte er sich über die Auszeichnung freuen, bester Deutscher geworden zu sein. Eine Teilnahme ist übrigens an feste Vorgaben gekoppelt. Vogel erklärt: „Ich musste nachweisen, dass ich die vergangenen fünf Marathons unter vier Stunden gelaufen bin. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme der Organisatoren, da die Infrastruktur auf dem Eis nicht stundenlang aufrecht erhalten werden kann.“ Nach sechs Stunden müssen deshalb, trotz der schwierigen Bedingungen, alle im Ziel sein. Für Vogel kein Problem, schließlich hat er viel Erfahrung über die gut 42 Kilometer. 15 Marathons hat er bereits absolviert. Meistens ist er in Städten unterwegs, mit dem Jungfrau-Marathon in der Schweiz auf 2300 Metern Höhe hatte er aber bereits vor dem Baikallauf einen der schwersten Marathons der Welt in Angriff genommen. „Normalerweise laufe ich immer woanders, keinen Marathon doppelt. Ich habe Respekt vor jedem einzelnen Laut“, sagt der 55-Jährige, der in wenigen Wochen in Prag bereits seinen nächsten Start plant. Für den Bad Kreuznacher steht eines aber fest: „In Marathonkreisen heißt es, du musst einmal in New York gelaufen sein. Dort war ich auch. Nun sage ich, jeder Marathonläufer muss einmal auf dem Baikal gelaufen sein. Ich würde mich freuen, wenn auch andere dort einmal starten. Es ist einfach faszinierend, der Aufwand und die Strapazen lohnen sich für dieses einmalige Erlebnis definitiv.“

Von unserem Redakteur Olaf Paare